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Der im Juni 1950 zwischen dem von China unterstützten kommunistischen
Nordkorea und dem prowestlichen Südkorea ausgebrochene Krieg tobte
1953 einem Waffenstillstand entgegen. Die UNO stagnierte in der Ära
Lie als Zaungast im Weltgeschehen. Die »Vereinten Nationen«
durften im Korea-Krieg die blauweiße Flagge für die von den
USA angeführte westliche Allianz bereitstellen, ohne selbst Einfluss
auf das Geschehen nehmen zu können. (So wie die USA später in
den 90er-Jahren die Irak-Kuwait-Resolution des UN-Sicherheitsrates als
»Persilschein« für ihre Wüstensturm-Aktion, die
Rückeroberung der Kuwait’schen Ölfelder, benutzten.) Im
Waffenstillstandsvertrag vom 27. Juli 1953 wurde der Austausch der Kriegsgefangenen
vereinbart. Stattdessen verfrachteten die USA 14.000 nordkoreanische und
rotchinesische Gefangene als Geisel und zur Umerziehung nach Taiwan (Nationalchina),
welches entgegen dem Völkerrecht, aber mit Unterstützung der
USA den UNO-Sitz der Volksrepublik China (Rotchina) einnahm. Zudem setzten
sich die USA dem Vorwurf aus, den Korea-Krieg unnötig in die Länge
zu ziehen – als Rechtfertigung dafür, die Südostasiatische
Verteidigungsorganisation SEATO, das asiatische Gegenstück zur NATO,
gründen zu können. Von den etwa 5.000 in den USA zeitweise studierenden
und arbeitenden Chinesen wollten wenigstens 350 in ihr Heimatland zurück,
erhielten aber (als indirekte Geisel?) keine Ausreisegenehmigung von der
US-Regierung. China bombardierte im September 1954, möglicherweise
als Vorbereitung einer Invasion, einige von Taiwan beanspruchte Inselgruppen.
Zugleich verurteilte Peking fünfzehn während des Korea-Krieges
gefangene US-Flieger des südkoreanischen »UNO«- Kommandos
als CIA-Spione. Es drohte den US-Amerikanern, trotz UNO-Emblem auf Flugzeug
und Brust, theoretisch die Todesstrafe, faktisch aber eine lebenslängliche
Haft. Der republikanische Senator Knowland forderte eine Seeblockade Chinas,
was nach der amerikanischen Verfassung einer Kriegserklärung gleichkäme,
und Außenminister Foster Dulles drohte mit der Atombombe (gebaut
mit Uran aus der belgischen Kongoprovinz Katanga). Eine von den USA eingebrachte
Resolution der UN-Generalversammlung vom 7. Dezember 1954 verurteilte
das Noch-Nichtmitglied China und forderte von Peking die sofortige Freilassung
der US-»UNO«-Flieger. Moskau solidarisierte sich mit Peking.
Und die Welt stand wieder einmal am Abgrund.
Dies war die Situation, in der Dag Hammarskjöld seine eigene Art von Diplomatie
erfand: »Entweder verurteilt man oder man verhandelt, beides gleichzeitig
geht nicht.« Statt die ultimative Resolution an Peking weiterzuleiten und
mit der Nichtaufnahme Chinas als Veto-Mitglied in die UNO zu drohen (wie von
den USA empfohlen), schickte er der kommunistischen Regierung am 10. Dezember
ein Telegramm, in welchem er den chinesischen Ministerpräsidenten Tschou
En-lai um »ein persönliches Gespräch über aktuelle Fragen« ersuchte.
Für die damalige Diplomatie des Kalten Krieges war diese »Peking-Formel« ein
unerhörtes Novum. Schweden gehörte zu den wenigen westlichen Regierungen,
welche die Volksrepublik China damals völkerrechtlich anerkannten. Da Hammarskjöld
die UNO gemäß ihrer Charta als eine universelle Weltorganisation gestalten
wollte, war es für ihn grotesk, dass ein Land mit über einem Fünftel
der Erdbevölkerung nicht Teil des UNO-Systems werden sollte.
Er ließ dies über Vertraute im schwedischen Außenministerium
Chinas Botschafter in Stockholm wissen. Am 19. Dezember, der Generalsekretär
war auf Weihnachtsurlaub, traf er im Haus seines ehemaligen Kollegen und
Bergwanderbruders Uno Willers, der später in seiner Funktion als
Leiter der Königlichen Staatsbibliothek den Nachlass Hammarskjölds
verwaltete, Botschafter Keng Piao. Zufälligerweise arbeitete sein
Neffe Peder Hammarskjöld, der später im Vorstand der Dag-Hammarskjöld-
Stiftung sitzen sollte, in der Schwedischen Botschaft in Peking, so dass
er seinen Onkel über die politischen Verhältnisse vor Ort informieren
konnte. Die letzten Vorbereitungen für Hammarskjölds erste große
Friedensmission fanden jetzt als Teil einer (im erweiterten Sinne) stillen
Familien-Diplomatie statt. Für einen wie Dag Hammarskjöld war
letztendlich die ganze Menschheit eine, wenn auch (noch) zerstrittene
Familie, die der UNO-Therapie bedurfte.
Hammarskjöld las mit großem Interesse frühe Reiseberichte
aus Indien und China. Gegenüber seinem Künstlerfreund Bo Beskow
wird er später über die weit verbreitete westliche Unfähigkeit
und Unwilligkeit, die asiatische und afrikanische Mentalität (das
geistig Wesentliche dieser Kulturräume) wahrzunehmen, klagen: »Für
einen westlichen Menschen der späteren Generation … ist es
eine hilfreiche Erfahrung, die Schriften jener berühmten Europäer
zu lesen, deren mentale Einstellung die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
widerspiegelt. Was einen zuerst trifft, ist, wie viel sie nicht hörten
und sahen, und wie sehr selbst ihre positivsten Absichten – beim
Betreten einer Welt von unterschiedlichen Gedanken und Gefühlen –
überschattet wurden von einem unbedachten und selbstsicheren Überlegenheitsgefühl.«
In der Halle des purpurnen Lichtes
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Hammarskjöld betrat Peking am 5. Januar 1955 auf Zehenspitzen zu einem einwöchigen
Chinabesuch. Ohne Protestnote. Ohne neugierige und auf Sensationen bedachte Journalisten
im Reisegepäck. Mit einer Hand voll Begleiter, darunter zwei ehemalige Missionare,
deren Missionsversuche sie selbst eines Besseren belehrt hatten. Die erste Begegnung
mit dem sieben Jahre älteren Tschou En-lai, der unter anderem in Paris und
Göttingen studiert hatte, fand am 6. Januar in der Halle des purpurnen Lichtes
statt. |
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Tschou En-lai und Dag Hammarskjöld. Ein historischer Augenblick.
Beide stammen aus Adelsfamilien, welche ihren jeweiligen Ländern
schon seit Generationen dienen. Tschou, der marxis-tische Grandseigneur
chinesischer Außenpolitik, Sohn eines Mandarins, mit der Erziehung
und dem Selbstbewusstsein einer Familie, die seit Jahrtausenden (Tschou-Dynastie,
1.000 v.Chr.) zur herrschenden Schicht gehört, weiß mit den
Feinheiten der indirekten chinesi153 schen Diplomatie und Psychologie
virtuos zu spielen. Hammarskjöld findet hier einen geistig Ebenbürtigen,
einen Meister seines Faches.
Beide sprechen sie in Andeutungen und Analogien. Sie vermeiden einander
zu brüskieren. Hochpolitisches findet sich in Literatur und Philosophie
verpackt wieder. Sie bewegen sich wie Tai Chi Tänzer zwischen der
internationalen Tagespolitik, Kang Yu-weis Buch von der zukünftigen
»Großen Gemeinschaft« der Menschheit und Chu Hsis (1130–1200)
Neun Gebote für den Kaiser.
(…)
Abends lässt Tschou ein chinesisches Schauspiel aufführen: Zwei
Pantomimen begegnen einander in einem dunklen Raum, misstrauen einander,
weil sie in der Dunkelheit einander nicht richtig wahrnehmen können,
jeder fühlt sich vom anderen bedroht. Schwerter blitzen. Tschou stellt
Hammarskjöld auf die Probe, misst dessen multi-kulturelle Tiefe und
geistige Tragweite. Jede Bemerkung und selbst die stille Sprache des Körpers
wird aufmerksam registriert. Dag besteht den Test, als er am nächsten
Tag die Thematik der Peking Oper geschickt als Analogie der Beziehung
China – USA in die Verhandlungen miteinfließen lässt
und Tschou mit dessen eigenen Mitteln Remis bietet. »Alles wirkliche
Leben ist Dialog, ist Begegnung zwischen einem Ich und einem Du.«
Sagt Martin Buber, einer von Hammarskjölds Mentoren.
Über dreitausend Jahre chinesische und europäische Geistesgeschichte,
Platonismus und Konfuzianismus begegnen einander, trinken grünen
Tee, einfach und heiß. Bambusherzen und Lotossamen zum Abendessen.
Dagegen wirkt der Plantagenbesitzer Dulles, selbst als damaliger Außenminister
der USA, wie ein bananenpflückender Barbar.
Tschou En-lai und Dag Hammarskjöld chiffrieren Tagespolitik in
das Gewand von Kultur und Philosophie. Dies ist eine Art von Diplomatie
des Geistes, hochintellektuell und zugleich subtil spirituell, wie sie
nur wenige Glasperlenspielmeister zu spielen verstehen. Und es ist ein
Prozess von übernationaler Menschheitsethik in der Praxis internationaler
Politik. Zurück in New York City Pressekonferenz und erste Briefwechsel.
Feindbildabbau. In der Zeit des hysterischen Anti-Kommunismus
sind Hammarskjölds Worte fast subversiv: »Tschou ist viel gefährlicher,
als Sie denken, denn er ist ein so viel besserer Mensch, als Sie alle es wahrhaben
wollen.« Und in einem Brief vom 12. Februar 1955 an Bo Beskow: »In
gewisser Weise bin ich jetzt erwachsener als zuvor. Farbenreich und aufregend,
unendlich distanziert und doch schrecklich real. Dies gilt für die Landschaft
Chinas, für die Atmosphäre Pekings […] und für Tschou En-lai:
stählerne Nerven, blutige Hände, strenge Selbstdisziplin – und
ein sehr herzliches Lächeln.« Tschou war nicht bereit, den US-amerikanischen
Drohungen nachzugeben. Dies würde in der (inter)nationalen Politik als Zeichen
von Schwäche gedeutet werden. Aber die beiden Dialogpartner fanden einen
Weg für alle, das Gesicht zu wahren. Hammarskjöld kam zurück mit
der Geste, dass die Angehörigen der US-Flieger diese in China besuchen dürfen.
(Familienbesuche bei Gefangenen gehören in China zur traditionellen Prozedur
einer Amnestie!) Geistesadel trifft auf politische Dumpfheit: Dulles Außenministerium
verweigert den Angehörigen die Ausreise, da man nicht für ihre Sicherheit
garantieren könne. Das ist keine menschliche Politikfähigkeit, sondern
ein Maskenball der Affen. Stattdessen verübt der amerikanische Geheimdienst
CIA, dessen damaliger Direktor Allan Dulles ist, ein Bruder des Außenministers
Foster Dulles, Ende Februar ein Attentat auf Tschou En-lai.
Ein Flugzeug der Air India stürzt mit fünfzehn chinesischen Partei-
und Staatsfunktionären auf dem Flug zu einer internationalen Konferenz nach
Bandung ab. Im Wrack entdeckt man Überreste eines Sprengsatzes. (Vieles
erinnert später an die fünfzehn toten UNO-Mitarbeiter von Hammarskjölds
Absturz in Ndola.) Tschou En-lai, welcher die Delegation hätte begleiten
sollen, änderte in letzter Minute seine Pläne und war nicht mit an
Bord. Am 22. November 1967 veröffentlicht die New York Times das Geständnis
des ehemaligen CIA-Agenten John Doscoe Smith.
Ein Geburtstagsgeschenk für Dag
Tschou En-lai findet eine andere Möglichkeit, die Rolle des UNGeneralsekretärs
in der Weltöffentlichkeit zu stärken und zugleich den Kleinmut der
US-Regierung zu beschämen. Uno Willers lässt den chinesischen Botschafter
wissen, dass Hammarskjöld im Juli zu seinem 50. Geburtstag in Schweden sein
wird. Am 29. Juli 1955, etwa sechs Monate nach seiner Pekingreise, erhält
Hammarskjöld in seiner südschwedischen Fischerhütte, in Nachbarschaft
zu Bo Beskows Landhaus, ein Telegramm von Chinas Botschafter Piao aus Stockholm: »Die
chinesische Regierung hat sich entschlossen, die gefangenen US-Flieger zu entlassen.
Die vorzeitige Entlassung findet statt, um mit Dag Hammarskjöld die Freundschaft
aufrecht zu erhalten und hat nichts mit der UN-Resolution zu tun! Tschou En-lai
legt Wert darauf, dass Herr Hammarskjöld diesen Punkt beachtet. […]
Tschou En-lai gratuliert Dag Hammarskjöld zum 50. Geburtstag!«
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