English   Biographie   Bücher    Freundeskreis   Veranstaltungen   Weltpolitik   Fotos
Presse   Tagebuch   Studienreisen   Reden   Shop   Gastbeiträge   Institut   Spende
         
  Weitere Freunde  
           
   

 

Andreas Labba

Im Oktober 1961 schreibt der persönliche Pressesprecher und Freund Dag Hammarskjölds, George Ian Smith, ein Australier mit Zweitwohnsitz in den schottischen Highlands, in einem Brief an Professor Martin Buber über die Tragödie in Ndola: »Durch eine Reihe von Zufällen war ich nicht mit ihm bei seiner letzten Afrikareise. […] Linnér sagte mir, die letzten Worte, an die er sich erinnern kann, bevor das Flugzeug startete, waren über Ihre Arbeit [Ich und Du] und über die mittelalterlichen Mystiker. Für sie, sagte Dag, meinte Liebe ein Plus an Energie und ein Überfließen von Stärke, welche sie erfüllte, wenn sie in wahrhafter Selbsthingabe lebten. «

Und über die Beerdigung in Uppsala schreibt Smith: »Ganz am Ende, als die Menge und die Repräsentanten der Königshäuser und der Regierungen sich zerstreuten, bekam ich einen Mann in der farbigen Kleidung der Lappen zu Gesicht. Er stand im Schatten der nahe gelegenen Friedhofskapelle, von wo aus er die Beerdigung beobachtet hatte. Ich drang zu ihm durch und entdeckte mit Hilfe eines Übersetzers, dass er jener Bergführer aus Lappland war, der Dag auf vielen nördlichen Reisen begleitete. […] Die leidvolle Trauer in dieses Mannes Gesicht ist etwas, das ich niemals vergessen werde. «

Es war im Sommer 1935, als der damals 30-jährigen Dag Hammarskjöld auf einem Bergpfad des Kebnekaise (mit 2117 m höchster Berg Schwedens) dem Samen Andreas Labba begegnete. Aus dem, was hätte nur eine augenblickliche Begegnung im Vorübergehen sein können, wurde eine lebenslange Freundschaft. Zu dieser Zeit gab es nicht viele Fremde, Schweden wie auch andere Ausländer, welche die Kultur der Lappen – jenseits der Folklore – wirklich ernst nahmen und respektierten. Bis weit in die heutige Zeit hinein wurden die Samen, so der Eigenname der »Lappen«, rechtlich benachteiligt und von vielen Touristen nur als Träger ihrer Rucksäcke und als bunte Foto-Objekte wahrgenommen.

Dag Hammarskjöld gehörte zu jenen, welche die Fähigkeit hatten, tiefer zu schauen und sensibler zuzuhören. So wurde er zum stets willkommen Gast an den Lagerfeuern der Labba-Sippe, wo noch die alten Geschichten und Lebensweisen erzählt wurden. Mündlich. Von Generation zu Generation. Wie die Edda oder die Kalevala, bevor ihre Restüberlieferungen dann in Schriftform in unsere heutige Zeit hinübergerettet wurden. Andreas Labba besuchte Hammarskjöld auch mehrfach in Stockholm und zuletzt 1958, nach der Einweihung des neuen UNO-Meditationsraumes, in New York City. Während der Mann, welcher auch heute noch als samischer Schriftsteller unter seinem christlichen Namen Andreas Labba in Lappland bekannt ist, dem Mann aus Uppsala die heiligen Plätze seines Volkes zeigte, motivierte Dag Hammarskjöld seinen samischen Freund auf Schwedisch Lesen und Schreiben zu lernen, um die alte und vom Vergessen bedrohte Sagenwelt aufzuzeichnen.

… Rentierbesitzer und Lachsfischer

Ende September 1964 besuchte ein freier Journalist der »Zürcher Weltwoche« während einer Lapplandreise den »Freund des toten Generalsekretärs« und zeigte etwas weniger Sensibilität. »Die Eintragung im Reichs-Telefonbuch … war faszinierend. Auf Seite 384 besagte eine klein gedruckte Zeile: Labba, Andreas, Nomade, Kaitum, Tel. Nr. 4. «, schrieb der Weltwoche-Mann auf Seite 15 in seinem Artikel »Hammarskjöld war kein einsamer Mann« vom 30.10.1964. Der Kollege hatte zuvor in der englischen Ausgabe von Zeichen am Weg geblättert: »Schwermütige, vergrübelte Tagebuchblätter sind es, die stellenweise eine betroffen machende Luzidität erreichten. […] War dies nur das verquälte Bergman-Motiv, mit dem der Südschwede Hammarskjöld zeitlebens rang, oder aber war dies das Logbuch eines Mystikers? […] In Kaitum fanden wir eine Antwort nicht. Aber eine grandiose Kulisse…«


Artikel zum lesen anklicken! (ungekürzte Version im Shop)

Das Einzige, was in der Nettigkeit des fünfspaltigen Reiseberichts und der mehrfachen Erwähnung seiner mitreisenden Freundin aufhorchen ließ, war ein kurzer Nebensatz: »Labba wusste, dass Hammarskjöld diese Tagebücher schrieb? « Genau wie der junge Parzival hat der Kollege dann vergessen, zum rechten Zeitpunkt die richtigen (wichtigen) Fragen zu stellen. Stattdessen unterhielt er sich mit Labba über schwedische Armeehelikopter und Rentierzucht: »Die gläserne Spitze auf dem Kapellen-Kegel, die sei von einem Helikopter aufgesetzt worden. Von einem Helikopter? Ja, auch der Lebenszuschnitt der Lappen ändert sich. […] Ich hatte zwar den Fauxpas begangen und Andreas Lappa gefragt, wie viele Rentiere er eigentlich habe, und er hat entsprechend zurückgegeben, er frage mich ja auch nicht, wie viel Geld ich auf meinem Bankkonto hätte, aber er erzählte doch von den Rentieren, denen Europas letzte Nomaden nachziehen…«

Verpasste Chancen. Andreas Labba als Rentierbesitzer und Lachsfischer. Ja, auch dies ist ein berechtigter Teil der Wahrheit. Über Labbas Kampf gegen die soziale Benachteiligung der Samen, gegen die Gewalt der schwedischen Lehrer in den (damaligen) staatlichen Lappengrundschulen und gegen den Staudammbau, welcher die alten und heiligen Plätze der Samen zu überfluten drohte, fand sich in dem romantischen Artikel nichts. Unerwähnt blieb jene Trancetanztechnik, welche Initiierte unbeschadet durch Feuer gehen ließ. Und auch von den schamanistischen Traumreisen und Visionen der Sippe des Andreas Labba erfuhren interessierte (schwedische) Leser erst 1971, als dessen autobiografischer Ethno-Roman Anta gedruckt wurde.

… Barde und Visionär zugleich

Die Geheimnisse im Faust und anderen Werken andeutend, spricht Goethe am 25. Januar 1827 zu Eckermann: »Wenn es nur so ist, dass die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat, dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen. «

In der Einleitung der Autobiografie seiner Sippe schreibt Andreas Labba: »Ich versetzte mich in die Zeit, in die Menschen, die da lebten. Wenn ich schrieb, empfand ich, dass sie bei mir waren. Ich hörte sie sprechen. […] Die ganze Zeit habe ich den Zwang empfunden zu schreiben. Oft wachte ich mit einem fertigen Geschehen im Kopf auf und stürzte unmittelbar los, um es niederzuschreiben. Ich schrieb in den Nächten und schlief am Tage. […] Ich hatte meinen ›Anta‹ [zuerst] in unserer alten Gällivare-Sprache geschrieben…«

Auch sein Anta, die Abkürzung für Antaris, ein Heil- und Seelenkundiger, ein Schamane (Nåjde), erhält im Traum seine heilkundlichen Anweisungen. So erscheint ihm der Schutzgeist der Sippe in Gestalt einer alten und eindrucksvollen Samenfrau und belehrt ihn über die Heilkraft der neun Baumarten und die Zubereitung ihrer Bestandteile. Labba lässt im Buch Antas Bruder sagen: »Anta hatte einen sehr merkwürdigen Traum. […] Auf diese Weise sind in vergangenen Zeiten zu Menschen Schutzgeister gekommen, auch um ihnen zu raten, wie man Krankheiten heilen kann…« Später schildert Labba (sein Bruder hieß Jon), wie Antas Vater-Bruder Jova »das zweite Gesicht« erscheint und dieser ein hellseherisches Erlebnis hat. Hammarskjölds Freund, der Anthropologe und Bergsteiger Ernst Manker schrieb 1950 in seinem Werk »Menschen und Götter in Lappland«: »Erst im 18. Jahrhundert wurde der lappländische Schamanismus offiziell … ausgerottet. «

Bei einem Interviewgespräch in Stockholm, unter anderem über die Götter-Dämmerung im nordischen Edda-Epos, sagte mir der Schriftsteller Frans Carlgren: »Es wird dabei nicht ein äußeres Ereignis beschrieben, sondern die tief greifende Bewusstseinsveränderung der Menschheit. […] In einigen abseits gelegenen Gebieten, zum Beispiel im Norden [Skandinaviens], scheint das alte Hellsehen sich länger erhalten zu haben als im übrigen Europa. Der britischamerikanische Historiker E.R. Dodds hat umfangreiches Material gesammelt, das darauf hindeutet, dass Wahrträume, Visionen und andere übersinnliche Erlebnisse … immer mehr abnahmen. «

In den Kapiteln des Nachwortes von »Anta« schreibt Andreas Labba auch über den mehr äußerlichen Teil der gemeinsamen Wanderungen mit Dag Hammarskjöld: »Als ich mit Dag wanderte, empfand ich, dass ich ein Mensch war wie alle anderen. […] Ich begann zu verstehen, dass wir alle auf derselben Erde wandern, mit den gleichen Sorgen und dem gleichen Recht zu leben, wenn auch mit verschiedenen Lebensaufträgen. Und ohne die neue Sicherheit, die Dags Freundschaft mir gab, hätte ich vermutlich nie gewagt, mir als Ziel zu setzen, alle Sagen und Erzählungen aus der alten Zeit niederzuschreiben.«

Andreas Labba konnte dieses Werk nicht mehr vollenden. Er starb am 4. November 1970, entkräftet vom Kampf gegen das Stauseeprojekt und in Sorge um die samische Kultur, im Hospital der Eisenerzgruben-Stadt Gällivare. Dort, wo in Bahnhofsnähe das 1957 errichtete steinerne Mahnmal »Der nachdenkliche Same« steht. Die Körperhaltung der Skulptur zeigt einen mit überkreuzten Armen fröstelnden Samen aus einer Steinsäule herausragen. Auf der Inschrift einer Messingtafel ist zu lesen: »Mein war das Land in der Vergangenheit. Bewahre mein Volk in der Zukunft. « Für viele Menschen dieser Region ist dies auch zum Denkmal für Andreas Labba geworden.

 

 

 

Home | Kontakt | Impressum