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  Yehudi Menuhin  
           
   

Die Menschheit. Eine unvollendete Reise

Ein Geleitbrief von Lord Yehudi Menuhin an S. Mögle-Stadel

Lieber Freund, ich war sehr bewegt von deinem Buchmanuskript über Dag Hammarskjöld, und ich bin erfreut, dafür ein kurzes Geleitwort zu schreiben. Jeder sollte inzwischen wissen, dass wir in einer neuen Welt leben, einer Welt von globalen Bedrohungen, aber auch von globalen Möglichkeiten. Die Vereinten Nationen sind kein automatischer Bauplan für den Frieden, sie sind nicht einmal ein Versprechen auf irgendeine ideale Weltordnung. Aber sie sind eine Hoffnung, deren Erfüllung nicht bei der Organisation als solcher liegt, sondern bei uns allen, bei jedem einzelnen Menschen auf dieser Erde. Denn ihrem Wesen nach kann diese Organisation nicht besser sein, als wir alle es sind. Wir müssen erkennen, dass sie in ihrer gegenwärtigen Form nicht weiter bestehen kann. Ich glaube, dass die Vision einer föderalistischen Welt in derselben Distanz von uns liegt wie die zunehmende Notwendigkeit, die Staatsgewalt in zwei Richtungen hin zu verteilen: zum einen in Richtung einer globalen Föderation und zum anderen in Richtung der kulturellen Autonomie der Regionen. Wir müssen den Nationalismus überall überwinden. Er ist nicht mehr tauglich, die Probleme zu lösen. Er ist selbst zum Problemfall geworden. Nationalismus vergiftet die Völker. Die Katastrophen des Egoismus, des Neides und des Hasses bereiten sich vor. Wir könnten sie abwenden, bislang tun wir es nicht. Wir überlassen unser gemeinsames, globales Schicksal den Banken und den Multinationalen Konzernen. Aber es wäre undenkbar, wieder in die alte Welt der zahllosen isolierten Teile zurückzukehren. Wir müssen vorwärts gehen zu dem Neuland einer Föderation und eines Parlaments von Kulturen. So wie ich es sehe, stehen Kulturen und Nationalismen im direkten Gegensatz. Nationen befinden sich hinter befestigten Mauern und Stacheldraht auf Staatsbesitz und schützen im Wesentlichen Machtansprüche anstatt die Menschen. Kulturen breiten sich dagegen ungehindert aus. Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Dichtung sind etwas, das in und zwischen den Menschen lebt, sie sind wie die Weltmeere ein gemeinsames Erbe der ganzen Menschheit und nicht Besitz einzelner Staaten oder konfessioneller Hierarchien.

Menschen wie Bach, Beethoven, Mozart, Goethe und Schiller waren echte Europäer und Weltbürger. Solange man nur als Franzose oder Deutscher aufwächst, ist man noch kein Europäer. Bei einem Weltparlament der Kulturen würde es sich um ausgewählte Männer und Frauen (und bestimmt keine Berufspolitiker) handeln, die aufgrund ihres Wissens, ihrer Weisheit und ihres Altruismus mit der konzeptionellen Lösung bestimmter Probleme betraut werden. Es wären Menschen (und Regierungskünstler) wie Dag Hammarskjöld, in denen das Visonäre sich geerdet hätte. Vielleicht sollten wir alle von diesen Künstlern lernen, die den Weg wissen zwischen den Visionen und der Wirklichkeit, diesen oft mühseligen Weg Tag für Tag gehen, die Hindernisse kennen und den wahren Fortschritt abschätzen können – anhand des Sieges über die Problematik, an der sie arbeiten, und anhand des Sieges über sich selbst. Vielleicht wird dann im Menschen eines Tages das Künstlerische die Oberhand gewinnen über das Animalisch-Politische. Die Politik beruht zumeist noch auf bestimmten Begierden des Menschen. Das Künstlerische hingegen ist das Intuitive, das mir eine höhere Kraft zu sein scheint.

Yehudi Menuhin


Ergänzung durch Stephan Mögle-Stadel:

Ich bin froh, den Geigenvirtuosen, Dirigenten und Musikpä- dagogen Yehudi Menuhin als einen Vertreter dieses Geistes für das Geleitwort gewonnen zu haben. Menuhin, am 22. April 1916 in New York City geboren, dirigierte und spielte als Geigensolist 1945 bei der Gründung der UNO und 1995 bei deren 50. Jahrestag in San Francisco. Er kannte und schätzte Hammarskjöld. Ich hätte mir keinen besseren Mentor für dieses Buch wünschen können. »Als echter Weltbürger, als fahrender Kosmopolit, gehört er keinem Volke an, lässt sich keiner […] Gruppe zuordnen. Er ist ein freier Mensch. […] Seine einzige brüderliche Gemeinde bilden alle diejenigen, die, wo immer in der weiten Welt, zuhören können, ohne hörig zu sein«, sprach im Oktober 1979 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Yehudi Menuhin sein Laudator. Es sind dies wahre Worte.

 

 

 

 

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