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Yehudi Menuhin | |||||||
Die Menschheit. Eine unvollendete Reise Ein Geleitbrief von Lord Yehudi Menuhin an S. Mögle-Stadel Lieber Freund, ich war sehr bewegt von deinem Buchmanuskript über
Dag Hammarskjöld, und ich bin erfreut, dafür ein kurzes Geleitwort
zu schreiben. Jeder sollte inzwischen wissen, dass wir in einer neuen
Welt leben, einer Welt von globalen Bedrohungen, aber auch von globalen
Möglichkeiten. Die Vereinten Nationen sind kein automatischer Bauplan
für den Frieden, sie sind nicht einmal ein Versprechen auf irgendeine
ideale Weltordnung. Aber sie sind eine Hoffnung, deren Erfüllung
nicht bei der Organisation als solcher liegt, sondern bei uns allen,
bei jedem einzelnen Menschen auf dieser Erde. Denn ihrem Wesen nach kann
diese Organisation nicht besser sein, als wir alle es sind. Wir müssen
erkennen, dass sie in ihrer gegenwärtigen Form nicht weiter bestehen
kann. Ich glaube, dass die Vision einer föderalistischen Welt in
derselben Distanz von uns liegt wie die zunehmende Notwendigkeit, die
Staatsgewalt in zwei Richtungen hin zu verteilen: zum einen in Richtung
einer globalen Föderation und zum anderen in Richtung der kulturellen
Autonomie der Regionen. Wir müssen den Nationalismus überall überwinden.
Er ist nicht mehr tauglich, die Probleme zu lösen. Er ist selbst
zum Problemfall geworden. Nationalismus vergiftet die Völker. Die
Katastrophen des Egoismus, des Neides und des Hasses bereiten sich vor.
Wir könnten sie abwenden, bislang tun wir es nicht. Wir überlassen
unser gemeinsames, globales Schicksal den Banken und den Multinationalen
Konzernen. Aber es wäre undenkbar, wieder in die alte Welt der zahllosen
isolierten Teile zurückzukehren. Wir müssen vorwärts gehen
zu dem Neuland einer Föderation und eines Parlaments von Kulturen.
So wie ich es sehe, stehen Kulturen und Nationalismen im direkten Gegensatz.
Nationen befinden sich hinter befestigten Mauern und Stacheldraht auf
Staatsbesitz und schützen im Wesentlichen Machtansprüche anstatt
die Menschen. Kulturen breiten sich dagegen ungehindert aus. Kunst, Literatur,
Musik, Tanz und Dichtung sind etwas, das in und zwischen den Menschen
lebt, sie sind wie die Weltmeere ein gemeinsames Erbe der ganzen Menschheit
und nicht Besitz einzelner Staaten oder konfessioneller Hierarchien.
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